Preisträger und Finalisten

Comicbuchpreis 2023

weisses Rechteck
weisses Rechteck

Die Preisträger 2023 des Berthold Leibinger Comicbuchpreises sind das Vater-Tochter-Duo Maren und Ahmadjan Amini aus Hamburg. Der Preis ist mit 20.000 EUR dotiert.

Über die Preisträger

Die Illustratorin Maren Amini erzählt in dem prämierten Band „Ahmadjan und der Wiedehopf“ die Geschichte Ihres Vaters, inspiriert von der Erzählung von der „Konferenz der Vögel“ von Fariduddin Attar (1136-1220). Der Juror und langjähriger Verleger bei Edition Moderne David Basler beschreibt die Handlung folgendermaßen: „Ahmadjans Welt im Panshirtal in Afghanistan liegt im Argen. Das Gute im Leben, der Glaube und die Kunst, das alles kann man mit knurrendem Magen nicht genießen. Darum muss Ahmadjan weg, weit weit weg.“ Und begründet die Auszeichnung des Gewinnerbandes: „in Anlehnung an eine Parabel erzählt die Autorin Maren Amini die Geschichte ihres 1953 geborenen Vaters in wunderschönen, auf das Wesentliche reduzierten Bildern. Sein Schicksal ist gleichzeitig ein beeindruckendes Zeitzeugnis Afghanistans und der Emigration nach Deutschland.“ Der Band führt neben der Lebensereignisse von Ahmadjan Amini durch viele Ausstellungen des Künstlers, die Kunstwerke voller Leben zeigen.

Der prämierte Band ist für das Gewinnerduo ein sehr wichtiges und persönliches Projekt. „Wir möchten durch den Comic, an ein Afghanistan erinnern, das aus gesellschaftlicher und kultureller Vielfalt bestand. Wir wollen afghanische Wurzeln ehren, uns als Vater und Tochter im künstlerischen Dialog näherkommen und wollen als Künstler nicht schweigend hinnehmen, dass die Taliban erneut die Kultur Afghanistans vernichten.“

Der Band soll etwa 200 Seiten umfassen und bis Herbst 2024 fertiggestellt werden.

Vater-Tochter-Duo

Maren Amini 1983 in Hamburg geboren, ist studierte Illustratorin und Mitglied der Hamburger Cartoonistengruppe „Hamburger Strich“, sowie des Hamburger und Berliner Zeichnerinnen-Kollektivs „SPRING“.

Der Künstler Ahmadjan Amini ist 1953 in Malaspa im Panjshir-Tal geboren, lebt seit 1980 in Hamburg und studierte dort Computer-Grafik auf Diplom.

Die Finalisten des Comicbuchpreises 2023 sind:

Mit „Auerhaus“ überzeugte Janne Marie Dauer die Jury. Stefanie Stegmann, Leiterin des Literaturhauses Stuttgart und Jurymitglied begründet die Entscheidung: „Tiefste schwäbische Provinz der 1980er Jahre: Janne Marie Dauer führt uns in ihrem Comic „Auerhaus“ in eine Bauernhaus-WG, bewohnt von sechs Jugendlichen, die ihrem Freund nach missglücktem Suizidversuch ein lebenswertes Umfeld zu schaffen versuchen – und wie nebenbei auch sich selbst. Der Comic basiert auf dem gleichnamigen Roman von Bov Bjerg und leuchtet die existenziellen Erschütterungen der sechs versehrten Jugendlichen ebenso tragisch wie komisch aus. Die Entscheidung für Bleistift und Gouache setzt eigenständig ins Bild, was der Text anlegt: Das Leben dieser sechs jungen Menschen ist alles andere als fest konturiert oder in Farbe ertränkt, sondern mit feinem wie schnellem Strich gezeichnet und koloriert – wie im Entwurfsmodus, vorübergehend, unfertig, offen, zärtlich und fragil.“

„Hilflos“ nennt Wanda Dufners Teenager-Hauptfigur Noemi die Titelwahl des Buches über ihr Erleben, „aber das bin ich ja auch.“ Die Künstlerin bringt eigene Erfahrungen zu einer ungewollten Teenage-Schwangerschaft in die Szenarien mit ein und findet für das Geschehen eine überwältigende Bildsprache. Perspektivisch ist hier alles außer Rand und Band. Das passt perfekt zu den Wegen der Heldin, deren Wirrungen von lakonischen, sehr direkten Texten begleitet werden. Die damals als „problematisch“ erlebten Reaktionen des Umfelds sind ein zentrales Thema. Eine Ahnung von Versöhnung schwingt hier mit – ein Vergessen, niemals. Künstlerisch und inhaltlich ein äußerst vielversprechendes Unterfangen.“, begründet Brigitte Helbling, Jurymitglied und Journalistin, die Auszeichnung der Schweizerin Wanda Dufner mit „Herr Lehrer, ich bin schwanger!"

Der Juryvorsitzende und verantwortliche Redakteur für Literatur und literarisches Leben bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Andreas Platthaus schrieb zu „Pinke Monster“ von Claus Daniel Herrmann: „Emanzipation trifft auf Esoterik in diesem Comic, der von einem jungen Mann erzählt, der sein schwules Coming-out parallel zu einer familiären Krisensituation erlebt: Um dem depressiven Vater zu helfen, sucht die Mutter Unterstützung durch eine religiös grundierte Naturmystikerin, die allen Abweichungen vom angeblich gottgewollten Leben mit der Vermittlung von Schuldgefühlen begegnet. Um sich ihrer zu entledigen, muss der junge Mann das Verhältnis zu den Eltern aufs Spiel setzen. In Claus Daniel Herrmanns Darstellung wird er zu einer rundum positiven Identifikationsfigur.“

Die Auszeichnung von Inga Lankenau mit „Die Welt brennt und ich häkle Bäbysöckchen“ begründet Andreas Platthaus mit diesen Worten „Die Form dieses Comics ist so ungewöhnlich wie nur denkbar: Unterschiedliche graphische Stile, Impressionen und Assoziationen kontrastieren mit langen Dialogpassagen einer Frau im Gespräch mal mit sich selbst, mal mit einer anderen jungen Mutter. Man merkt Inga Lankenaus essayistisch-szenischem und asynchronem Erzählen die Vertrautheit mit theatralischen Formen an. Aus dem persönlichen Blick auf Kinder resultiert politisches Bewusstsein, aus den privaten Worten erwachsen politische Bilder.“

Yuka Masuko, Absolventin der Kunsthochschule Burg Giebichenstein, projiziert in ihrem Comicbuch „Madame Hanako - Das Leben einer japanischen Tänzerin“ ihre eigenen Erfahrungen als japanische Immigrantin auf das reale Leben jener Frau, die zwischen 1902 und 1921 als Schauspielerin und Tänzerin das Kabuki-Theater an ein europäisches Publikum vermittelte. Nachhaltig wirksam blieb die Begegnung Hanakos mit Auguste Rodin, der sie im größten seiner Skulpturenzyklen in Form von Gesichtsmasken, Porträts und Büsten darstellte. Über dieses von Exotismus und Japonismus geprägte Narrativ blendet die Autorin in einer unaufgeregten und dezent kolorierten Bildsprache, die japanische Traditionen reflektiert, aktuell drängende Fragen nach Interkulturalität, Fremdheit und Diskriminierung.“ Gratuliert Frank Druffner, stellvertretender Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder und Jurymitglied.

„In seiner Arbeit „Collines“ nähert Constantin Satüpo (Konstatin Potapov) sich einem improvisierten Lager der Pariser Drogenszene zwischen und unter den Fahrbahnen des „Périphérique“ am Nordrand der Stadt: „Colline du crack“. Ein luzider Blick auf gesellschaftliche Zustände unterlegt die zarte Nachzeichnung des Alltags im Camp. Dass Satüpo Bilder und Lettering zwischen Wasserfarben, Gouache und Buntstiften changieren lässt, bestärkt das Werk in seiner Schwebe zwischen Dokumentation und Fiktion. Und durch das nebelige Grauschwarz der Lebensschicksale schimmern stets blasse Blau- und Rosatöne…“, begründet Florian Höllerer, Leiter des Literarischen Colloquium Berlin und Jurymitglied, die Juryentscheidung.

Mikael Ross mit „Lichtenberg“. Die Journalistin und Jurymitglied, Barbara Buchholz schreibt dazu: „Schwarze Schraffuren und graue Raster, Speedlines, schräg geschnittene Panels, Lautmalereien und zackige Sprechblasen – der Berliner Mikael Ross greift zielsicher in den Werkzeugkasten der dynamischen Comickunst, um seinen Thriller „Lichtenberg“ angemessen rasant zu erzählen. Die Hauptrolle spielen die Schülerin Mi und ihr Bruder Dennis, Kinder vietnamesischer Eltern. Die beiden helfen einer jungen Vietnamesin, die verschleppt wurde und aus den Fängen ihres Entführers fliehen konnte. Damit geraten die Geschwister selbst ins Visier des organisierten Menschenhandels, und das mitten in ihrem Berliner Heimatbezirk. Vor düsterem realen Hintergrund treibt Ross seine packende Story um streetwise Jugendliche voran – die vorliegenden Seiten machen Lust auf mehr.“

Tine Steen hat mit »Die kochenden Affen« ein Comic vorgelegt, das gleichzeitig ein unterhaltsames Lehrbuch im besten Sinne ist, ein Kochbuch, eine Kulturgeschichte. Ihre Texte sind klug und humorvoll, ihr Zeichenstrich rau, wild und so erheiternd, dass man sich wünschte, das fertige Buch bereits in Händen zu halten, um es endlich ganz zu verschlingen, so wie der Schimpanse in ihren Bildern die Wanderameisen vom Ästchen schleckt.“ So begründet Teresa Präauer, Jurymitglied und Schriftstellerin aus Wien.

Ebenso hat auch die neunte Finalisten Arbeit Teresa Präauer überzeugt: »Tiere richtig zeichnen« von Lena Winkel ist Humor für die schlauen Nerds unter uns. Sie paart Insiderwissen über Tiertheorie und Human-Animal-Studies mit Anekdotischem, Zitaten und philosophischen Fragen, wobei sie das Medium Comic stets mitreflektiert. Dass das Denken dabei so leicht daherkommt, ist ihrem Witz zu verdanken, ihrem schnellen Strich und ihren amüsanten Figuren.