Preisträger und Finalisten

Comicbuchpreis 2026

weisses Rechteck
weisses Rechteck

Dr. Shevek K. Selbert gewinnt mit seinem Doppelband den 12. Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung. Der mit 25.000€ dotierte Preis unterstützt Comicschaffende bei der Fertigstellung eines Werkes und gilt als einer der wesentlichen Auszeichnungen in der deutschsprachigen Comicszene.

Über den Preisträgerdoppelband „Für einen Augenblick für immer glücklich“ und „Wish you were here“

Das (auto-/) biografische Werk erzählt eindrucksvoll aus der Kindheit und Jugend von Selberts leiblicher Mutter bis zu seiner Geburt und im zweiten Teil über seine eigene Kindheit im Junkie Haushalt.

Die Jurorin Frauke Kühn, Leiterin Literaturhaus Vorarlberg begründet die Auszeichnung wie folgt: „Während der erste Band der Biografie der adoptierten Mutter nachspürt, folgt der zweite der eigenen Kindheit des Autors im Umfeld von Armut, Sucht und familiären Brüchen. Selbert verzichtet bewusst auf Dramatisierung und montiert Fotografien, Archivmaterial sowie Zeichnungen zu einer essayistischen Form, die das Erinnern selbst zum Thema und gleichzeitig zum ästhetischen Prozess macht.

Die gelb- und orangegrundierten Seiten fungieren als sanfte Leuchtflächen, auf denen sich Fragmente abzeichnen, die sich nicht zu einer glatten Erzählung fügen. Panelrhythmus, Blickachsen und Collage folgen einer tastenden Logik, die Brüche offenlegt, Lücken anerkennt, beklemmende Einblicke öffnet und zeitliche Ebenen nebeneinanderstehen lässt. Das Werk verknüpft Archiv, Analyse und Intimität zu einer leisen, präzisen Poetik, die intergenerationale Erfahrungen als Suchbewegung und behutsame Selbstvergewisserung erzählt. Selbert bereichert das autobiografische Erzählen um eine poetische Dimension und eine bemerkenswerte Haltung.“

Die beiden Bände umfassen jeweils 70 Seiten und sind Teil 2 und 3 einer Reihe, die ab 2026 erscheinen soll.

Die Finalisten des Comicbuchpreises 2026

Die schweizerische Comickünstlerin Lika Nüssli gelang mit ihrerm Werk „Alles Liebe“ auf die Shortlist. Die Leiterin des Stuttgarter Literarturhauses und Jurorin Stefanie Stegmann schreibt: „Alles Liebe“ erzählt davon, wie Liebe einfach alles sein kann und im selben Moment zur Abschiedsformel gerinnt. Frisch getrennt – im Comic als halbierte und wieder zusammengenähte Figur gezeichnet – blickt eine in etwa fünfzigjährige Figur um sich, in sich und auf die Gesellschaft, die sie umgibt und in der sie aufgewachsen ist. Aus dieser Betrachtung erwächst zwingend eine feministische Analyse. In wildem Strich setzt Nüssli originell und eigensinnig Begehren, Lust und Körperlichkeit ins Bild. Verletzlichkeit und Einsamkeit verschweigt sie dabei nicht. Dennoch ist der Comic nicht auf den individuellen Schmerz zu reduzieren, sondern entfaltet einen herrlichen Bild- und Sprachwitz – und das alles in einem Zeichenstrich, der sich ebenso wenig kontrollieren und einhegen lässt wie Begehren, Sehnsucht und Liebe.“

Mit „Amelia Earharts letzter Flug“ überzeugte die Hamburgerin und Zeichnerin Julia Hosse die Jury. Brigitte Helbling Jurymitglied und Journalistin, begründet die Entscheidung wie folgt: „Die Leute beißen sich an ihrer Geschichte fest und lassen nicht mehr los. Allerdings, wer bin ich, hier große Töne zu spucken. Auch mich lässt Earharts Verschwinden nicht los“, sagt die Figur „Julia“ im noch ungezeichneten letzten Kapitel dieses Comic-Werks. „Julia“ steht hier für Julia Hosse, die Autorin und Gestalterin dieses wunderbar gescheiten und ästhetisch höchst beglückenden Projekts. Es geht darin um Thesen und Verschwörungstheorien rund um das Verschwinden der Flugpionierin Earhart im Pazifik. Sie werden „Rashomon“-artig (so Hosse) aufgefächert, um zum Schluss den Blick auf die verantwortliche Sammlerin und „Sesselforscherin“ selbst zu richten, deren beharrlicher Einsatz für ihr Vorhaben die diesjährige Jury restlos überzeugt hat.“

Die Arbeit von Arinda Crăciun überzeugte den Juryvorsitzenden und Chef des Ressorts Literatur und literarisches Leben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Andreas Platthaus. Sie beschreibt: „Arinda Crăciun kam 2001 aus Rumänien nach Deutschland, doch ihre Heimat hat sie nicht vergessen. Auch nicht die Ceaușescu-Diktatur, die mangels anderen Wachstums im Land auf das der Bevölkerung setzte und dazu ein rigoroses Abtreibungsverbot erließ. In „Die Fabrik“ erzählt Arinda Crăciun am Beispiel mehrerer Frauenschicksale über deren dadurch fremdbestimmtes Leben – in expressiven Aquarellzeichnungen und mit einer Intensität, die den Übergriff auf die Körper auch zur elementaren Erfahrung der Leser macht.“

Dominik Wendland, ausgezeichnet mit dem 11. Comicbuchpreis und diesjähriges Gastjurymitglied erläutert die Juryentscheidung zu „Himmelblau“ von Pandora Magri: „Himmelblau erzählt in einfachen Bildern und alltäglichen Situationen und genau darin liegt die Kraft dieser Erzählung. Wir bekommen die Zweifel, Probleme und posttraumatischen Störungen gezeigt, welche die Hauptfigur erleidet, nachdem sie aus einer langjährigen häuslichen Gewaltsituation entkommen ist. Der liebliche Zeichenstil steht dabei im harschen Kontrast zu dieser Thematik, wobei der Fokus auch ganz klar nicht auf der Reproduktion der eigentlichen Gewaltsituationen liegt, sondern den Weg der Heilung und in die Freiheit zeigt, welche ganz neu für die Protagonistin sind. Ein wichtiges Buch, nicht nur für Betroffene, sondern für den gesellschaftlichen Diskurs, in dem das Thema häusliche Gewalt immer noch oft an den Rand gestellt wird. Die mutige Klarheit der Zeichnungen und die stark kontrastierenden Pink- und Blautöne erzählen die nahbare Geschichte in bedrückend ehrlichen Bildern, ohne dabei aus den Augen zu verlieren, dass der Himmel zwischen all den Wolken immer noch blau ist.“

Brigitte Helbling stellt die Finalistenarbeit „LUUNA“ von Anna Schmalhofer (Autorin) und Eric Schneider (Zeichner) wie folgt vor: „Diese „prozessorientierte Arbeit zwischen der Autorin (24) mit Down Syndrom und dem Illustrator (56) ohne Down Syndrom“ entführt ihre Leserschaft in andere Welten – hinsichtlich der Erzählwege, der Graphik, der Satzstellung und Orthografie. Das wirkt im Rahmen der Sci-Fi-Welt, in der alle Menschen mit dem Down Syndrom geboren werden, im Zentrum vollkommen stimmig und bringt unerwartete Genüsse mit sich. Wir sagen nur: Apro Roll Spitz! 40 Seiten sind erarbeitet, mit Bildern, die bewusst mit groben/zerstörten Pinseln gemalt werden: Der Illustrator verlässt für diese Zusammenarbeit seine gewohnte Kontrollzone. Jede gelungene Kollaboration ist ein kleines Wunder, das Ergebnis immer mehr als die Summe seiner Teile. So auch hier; mit einer Story, deren Verlauf besonders wenig voraussehbar erscheint. Wir freuen uns auf nächste Seiten.“

Noëlle Kröger nimmt uns in „Meer Metall“ mit in die Zukunft und auf den Meeresboden: Wir begleiten eine U-Boot-Crew aus fünf Wissenschaftlerinnen und Technikerinnen samt dem kleinen Oktopus Casper auf Tiefsee-Expedition. Krögers Science-Fiction-Comic dreht sich um ein aktuelles Thema, nämlich den Manganknollenabbau. Diese polymetallischen Klumpen sind wegen ihrer wertvollen Rohstoffe begehrt, ihr Abbau ist aber umstritten. Krögers Zeichnungen in Pastellkreidenoptik leuchten in zarten Grün- und Blautönen, mit Akzenten in Rosé und Gelb und befinden sich in abgerundeten Panels, die effektvoll auf schwarzem Grund gesetzt sind. Dieses Artwork, die Dynamik zwischen den Figuren und das spannende Thema machen Lust, mehr von „Meer Metall“ zu lesen.“, schreibt die Journalistin und Jurorin Barbara Buchholz.

Jurymitglied und Leiter Literarischen Colloquium Berlin Florian Höllerer zitiert aus dem Finalistenwerk „POLY“: „Ich bin poly… Äh, sehr erfreut. Ich bin Ute.“ Weiter schreibt Höllerer: „In dem Comicbuchprojekt von Jan Bauer ebnet dieser Dialog den Weg in die Welt der Polyamorie, die etablierte binäre Liebeskonventionen hinter sich lässt. Mit viel Witz und einem ausgeklügelten Farbschemen-Wechsel geraten wir in drei - durch die gemeinsame Teilnahme an einem Workshop verknüpfte - Lebensgeschichten, die verschiedenste Facetten von einvernehmlicher und transparenter Beziehungsvielfalt ins Bild setzen.“

Mit seinem Comicprojekt „REVOLT!“ nimmt der Mangaka Dominik Jell uns mit auf ein turbulentes Science-Fiction Abenteuer. „„Revolt!“ ist der Auftaktband zu einer sechsteiligen Manga-Serie über einen korporativ beherrschten Stadtstaat nach dem Klimawandel. Menschen, Cyborgs und Roboter leben nebeneinander, aber ein neues humanoides Reinheitsdiktat droht die Gesellschaft zu sprengen. Dagegen begehrt zwei junge Personen auf, und sie entdecken die widerständige Vergangenheit der Eltern. Dominik Jell hat einen hochprofessionellen deutschen Manga gezeichnet, der in der Tradition japanischer Dystopien steht: ein virtuoses Spiel mit den Erzählprinzipien von Thriller und Psychodrama.“, beschreibt Andreas Platthaus das Werk.

Jurorin Anette Gehrig, Leiterin des Comicmuseum in Basel begründet die Auswahl der neunten Finalistenarbeit „Schwindend“ wie folgt: „Die Graphic Novel von Eveliina Marty erzählt in farbenfrohen Bildern die Geschichte der jungen Aulikki, die auf Spurensuche ist nach ihrer kulturellen Herkunft. Bildstarke, in fragilen Zeichnungen festgehaltene stille Szenen wie die einer Reise durch dunkle und einsame finnische Wälder erzählen von der bewegenden Suche der Protagonistin nach Verbindungen zu ihrer Herkunft. Die gezeichnete Geschichte zeigt die Herausforderungen des Pendelns zwischen zwei Kulturen und des Annehmens von Differenz. Und wie kleine Dinge und Handlungen im Alltag, diese Kluft zwischen den Kulturen überbrücken können. Eine wundersame poetische Reise zurück zu Kindheitserlebnissen und ein leiser Abschied von prägenden Erinnerungen.“